Böhmen liegt am Meer - Vortrag von Radek Malý

Rückschau von Kristina Winklerová -1. Oktober 2017

Am 13. Mai 2017 fand in der Mährischen Landesbibliothek ein Vortrag von Radek Malý zum Thema „Böhmens am Meer“ in der Literatur statt. Böhmen am Meer? Auf den ersten Blick ein Fehler – und doch richtig. Denn das Motiv taucht häufiger auf als gedacht.

 

Radek Malý ist Germanist und erfolgreicher Autor, für seine Prosa erhielt er etwa den Magnesia Litera-Preis. Er übersetzt aus dem Deutschen ins Tschechische – zum Beispiel Rilke, Morgenstern, Celan –, aber auch aus dem Schwedischen oder Polnischen. Derzeit ist er in Pardubice und Olomouc tätig.

 

Radek Malý begann die Vorlesung mit einem Gemälde von Anselm Kiefer mit dem Titel Böhmen liegt am Meer aus dem Jahre 1995. Das abstrakte Bild diente als Hinweis auf eine Schriftstellerin, die später im Vortrag behandelt wurde: Ingeborg Bachmann. Nach diesem Bild konnten die Besucherinnen und Besucher eine Reportage des deutschen Fernsehsenders RTL sehen. Darin ging es um die Möglichkeit Tschechiens einen Teil des Meeres in Istrien für sich zu gewinnen, dies gelänge aber nicht aufgrund der Inkompetenz tschechischer Politiker. Klingt unbekannt? Dafür gibt es eine einfache Erklärung: die Reportage war ein Fake-Bericht, der am 1. April gesendet wurde – es ginge also um einen Witz, der darauf hinweist, wie absurd die Vorstellung eines böhmischen Meers sei und trotzdem entdeckt dieses Motiv in vielen Texten zu Böhmen. Die Frage ist, in welchen?

 

Als erstes stellt Radek Malý ein tschechisches Gedicht von Jiří Žáček vor. Dann geht er zu einem der wichtigsten Werke mit diesem Motiv: William Shakespeares Das Wintermärchen. Dies ist einer der ersten literarischen Texte, in denen ein Meer in Böhmen auftaucht. Man spekuliert aber, dass Shakespeare mit seiner Bezeichnung Bohemia überhaupt nicht das Böhmen, das wir heute kennen, gemeint hatte. Noch dazu hatte Shakespeare scheinbar ein bestimmtes Vorbild vor Augen - er ging bei dem Drama von der Novelle Pandosto von Robert Green aus.

Ein weiterer Autor, der ein Meer in Böhmen erwähnt, ist Paul Celan. In einem seiner Briefe vom 9. 6. 1962 und es ist auch möglich, das gerade er Ingeborg Bachmann mit diesem Motiv inspiriert hat. Diese hat eines der markantasten Werke verfasst, in denen das böhmische Meer erscheint: Böhmen liegt am Meer. Sie hat das Gedicht im Jahre 1964 geschrieben, kurz nach ihrem Besuch Prags, wo sie nach einer dramatischen Trennung von Max Frisch gewesen war.

 

Nach Ingeborg Bachmann behandelt Radek Malý die ursprünglich tschechischen Autoren, die dieses Motiv in ihren Werken behandeln - zum Beispiel ein Essay von Libuše Moníková, das auf dem Gedicht von Ingeborg Bachmann basiert, oder Franz Fühmann mit seiner Erzählung Böhmen am Meer, wo er auch auf Shakespeares Wintermärchen hinweist. Ein anderer tschechischer Autor ist Jiří Gruša, der das Gedicht Böhmen am Meer geschrieben hat. Dieses Gedicht hat sogar zwei Versionen, eine in tschechischer Sprache und eine auf deutsch. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Versionen – keine einfachen Übersetzungen.

 

Zum Schluss wurde der Autor Hanz Magnus Enzensberger besprochen. Der eine Sammlung von Essays herausgegeben hatte, in dem der Epilog Böhmen am Meer erschienen ist. Die Sammlung wurde auch als Hörspiel überarbeitet, einschließlich des Epilogs. Einen Teil des Epilogs konnte man auch auf dieser Veranstaltung hören und zumindest für den Moment die Spurensuche nach dem Motiv Böhmen am Meer beenden.